Geschätzte Repräsentanten, Lehrende und Mitarbeiter der Universität,
werte Angehörige,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Festgäste!
Als ich erfahren habe, dass ich heute hier im Namen von uns Absolventinnen und Absolventen einige Worte an Sie richten darf, war es mir ein Anliegen, nicht nur meine eigenen Gedanken, sondern die Gedanken möglichst vieler von uns in diese Rede einfließen zu lassen. Denn mir ist bewusst, dass jeder und jede einzelne von uns heute an dieser Stelle stehen und eine interessante Rede halten könnte.
In den letzten Tagen überlegte ich mir, welche Worte für eine solche Rede angemessen wären. Dabei sind mir des öfteren folgende Fragen durch den Kopf gegangen:
==> Was bedeutet es eigentlich, zu studieren?
==> Was bedeutet es, ein Studium absolviert zu haben und plötzlich Akademiker zu sein?
==> Welche wertvollen Erkenntnisse haben wir aus unserer Studienzeit gewonnen?
==> Welche Fähigkeiten nehmen wir als Absolventinnen und Absolventen – zusätzlich zu unserem Fachwissen – ins Berufsleben und auf unseren weiteren Lebensweg mit?
==> Was erwartet die Gesellschaft von uns als frischgebackenen Akademikern?
Aus Zeitgründen ist es nicht möglich, auf all diese Fragen tiefer einzugehen. Dennoch möchte ich einige davon kurz anreißen.
(...)
Zuerst möchte ich im Namen von uns allen ein paar Worte des Dankes aussprechen:
Wir danken vor allem unseren Eltern, die es vielen von uns überhaupt erst ermöglichten, ein Studium betreiben zu können. Ich persönlich möchte vor allem meiner Mutter danken, die ebenfalls an dieser Universität studiert hat – und der Zufall wollte es so – vor mehr als zwei Jahrzehnten unter demselben Rektor spondierte wie ich heute.
Wir danken auch unseren Verwandten, Freunden und Bekannten, die uns – in welcher Form auch immer – unterstützt haben.
Wir danken auch den Lehrenden, die uns während des Studiums immer wieder mit offenen Ohren unterstützend zur Seite gestanden sind.
Und wir danken natürlich auch – sofern vorhanden – unseren Partnerinnen und Partnern, ohne deren moralische Unterstützung es für viele von uns wesentlich schwieriger gewesen wäre, die Tiefen, die es in jedem Studium gibt, zu überwinden.
Stellvertretend für meine Kolleginnen und Kollegen darf ich in Richtung meiner besseren Hälfte sagen: Danke, dass du mir soviel Energie gegeben und an mich geglaubt hast; ich weiß nicht, ob ich ohne deine moralische Unterstützung heute hier stehen würde.
Was wird von Absolventen heutzutage erwartet?
Der ideale Absolvent – oder die ideale Absolventin – soll wenn möglich
Diese Wunschbeschreibung trifft vermutlich auf niemanden von uns zu.
Trotzdem haben einige von uns ein oder sogar mehrere Semester im Ausland verbracht,
andere können dafür bereits auf einschlägige Berufserfahrung verweisen oder beherrschen mehrere Fremdsprachen,
viele von uns haben ein Praxissemester absolviert,
und die meisten von uns haben sich neben den im Studienplan vorgeschriebenen Inhalten im Laufe der Semester auch einige Zusatzqualifikationen angeeignet.
Und deshalb bin ich für uns alle recht zuversichtlich, weil ich weiß, dass wir uns in unserer Studienzeit nicht einfach nur mit Fachwissen angefüllt haben, sondern durch unsere vielfältigen zusätzlichen Erfahrungen recht gut auf den Einstieg ins Berufsleben vorbereitet sind.
Was kann oder darf man sich noch von uns als frischgebackenen Akademikern erwarten?
Was ist die wichtigste Grundlage, damit wir in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben können?
==> Ist es eine florierende Wirtschaft?
==> Ist es eine intakte Umwelt?
Was könnte das Fundament für diese beiden wichtigen Grundlagen sein?
==> Haben wir als einfache Staatsbürger einen Einfluss darauf?
In einem demokratischen Rechtsstaat wie unserem haben wir glücklicherweise die Möglichkeit, gemeinsam als Gesellschaft auf demokratischem Wege Entscheidungen zu treffen. Falls uns diese Möglichkeit eines Tages verloren geht, dann verlieren wir sehr viel. Dann verlieren wir nicht nur die Fähigkeit der gemeinsamen Willensbildung, sondern am Ende auch unsere Freiheit.
Daher glaube ich, dass eine funktionierende Demokratie die wichtigste Grundlage ist, damit unsere Zukunft nicht eines Tages von selbsternannten Führern bestimmt wird, sondern von uns allen gemeinsam. Denn nicht nur wir, sondern auch die Generation unserer Kinder und Enkelkinder würden gerne ein Leben in Frieden und Freiheit führen.
Auch wenn jeder einzelne von uns nur ein winziges Mosaiksteinchen in der Gesellschaft ist: Wenn zu viele Mosaiksteinchen der Meinung sind, dass sie für das Gesamtbild verzichtbar sind, dann ist das gesamte Mosaik bald nicht mehr erkennbar.
In einem unserer ältesten Gesetze, dem Staatsgrundgesetz aus 1867, heißt es in Artikel 2:
Warum zitiere ich hier ein Gesetz, das mehr als 130 Jahre alt ist?
Wenn wir uns kurz daran erinnern, dass über lange Zeit
wenn wir uns also kurz daran erinnern,
Wir als Absolventinnen und Absolventen gehören automatisch zumindest einer Minderheit an: Der Minderheit der Akademiker, die etwa 7 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in unserer Republik stellen.
Einer Minderheit, die das Privileg hatte studieren zu dürfen, und die auch die Fähigkeiten hatte, ein Studium erfolgreich absolvieren zu können.
Heute können wir zu Recht stolz auf uns sein: Denn wir alle haben den einen oder anderen Rückschlag und so manches Tief in unserem Studium überwunden und dürfen heute gemeinsam mit unseren Familien und Freunden feiern.
Trotzdem sollten wir nicht überheblich auf andere herabschauen, die keinen akademischen Titel haben: Denn einige von uns – und da zähle ich mich auch selbst dazu – wissen sehr genau, wie knapp manchmal die Entscheidung war, unser Studium eventuell abzubrechen und andere Wege zu gehen. Dann würden wir heute der breiten Mehrheit von 93 Prozent der österreichischen Bevölkerung angehören, die keinen Studienabschluss haben.
Auch wenn wir bald vielbeschäftigte Männer und Frauen sein werden, frage ich mich daher für uns alle:
Wer, wenn nicht wir als Akademiker,
Wer, wenn nicht wir als Akademiker,
Wer, wenn nicht wir als Akademiker,
Um etwas klar zu stellen: Bei uns in Mitteleuropa sehe ich derzeit keine unmittelbare Gefahr für unsere Freiheit und Demokratie. Aber niemand kann uns die Garantie dafür geben, ob das auch in 10 oder 20 Jahren noch der Fall sein wird.
Wenn man über den Atlantik blickt, kann man allerdings einen anderen Eindruck bekommen:
Wenn ich mir vor Augen halte, dass vor wenigen Wochen in einer der ältesten Demokratien der Welt viele Wähler stundenlang Schlange stehen mussten, um ihr Wahlrecht ausüben zu können, sann bin ich geradezu erleichtert, in regelmäßigen Abständen ein Kreuzerl auf ein Blatt Papier machen zu dürfen, das in einem jederzeit nachprüfbaren Prozess ausgezählt wird.
Beim Wählen auf elektronische Wahlmaschinen zu vertrauen, die von jedem durchschnittlich begabten Informatik-Studenten geknackt werden können; das halte ich für einen Luxus, den sich eine stabile funktionierende Demokratie nicht leisten sollte, wenn sie noch als solche bezeichnet werden will.
Politiker können auf sich allein gestellt nicht viel tun. Wir Staatsbürger haben es in der Hand, ihnen die Ermächtigung zu erteilen oder zu verweigern, unser Land in die eine oder andere Richtung zu führen.
Und ebenso wird es nicht nur in den Händen einiger weniger Politiker, sondern in den Händen und in der Verantwortung von uns allen liegen,
In diesem Sinne hoffe ich, dass wir alle unser restliches Leben in Frieden und Freiheit verbringen können.
Unsere Universität möge trotz einiger Widrigkeiten einer hoffnungsvollen Zukunft entgegensehen und noch viele qualifizierte und engagierte Absolventinnen und Absolventen hervorbringen.
Das wünsche ich mir, das wünsche ich Euch,
Ich danke Ihnen!
==> mehrere Semester im Ausland studiert haben,
==> mindestens eine Handvoll Fremdsprachen fließend beherrschen,
==> sich während des Studiums möglichst viele wirtschaftliche, rechtliche und soziale Zusatzqualifikationen angeeignet haben,
==> zum Zeitpunkt des Studienabschlusses bereits über mehrjährige Berufserfahrung verfügen,
==> und trotz allem das Studium schon mit 22 Jahren abgeschlossen haben.
(...)
Ich glaube, noch einiges mehr, wie beispielsweise ein gewissen Maß an gesellschaftlicher Mitverantwortung.
Mag sein, aber was nützt uns finanzieller Erfolg allein ohne entsprechende Lebensqualität?
Mag sein, aber unberührte Natur allein wird uns auch nicht glücklich machen.
Vielleicht die Frage danach, wer diese beiden Faktoren entscheidend beeinflussen kann?
In einer Diktatur vermutlich nicht. Da könnten wir nur darauf hoffen, dass irgendein Führer das Richtige tut. Aus der Geschichte wissen wir aber, dass das selten gut geht.
(...)
„Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich“.
Weil ich diesen Grundsatz für ein Fundament unserer Demokratie und für eine zentrale Säule unseres Rechtsstaates halte.
==> unehelich geborene Kinder nicht dieselben Rechte hatten,
==> Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Orientierung ins Gefängnis geschickt wurden,
==> Linkshänder zum Schreiben mit der rechten Hand genötigt wurden,
==> und dass Frauen vor 100 Jahren in unseren Breiten noch nicht wählen durften – was uns heutzutage völlig unvorstellbar erscheint –
dann erkennen wir vielleicht, dass der Grundsatz „Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich“ nicht immer ganz so selbstverständlich ist, wie wir das oft glauben. Dann erkennen wir vielleicht auch, dass auch unsere Demokratie nicht automatisch auf Jahrzehnte hinaus gesichert ist, sondern immer wieder aufs Neue erhalten, gefestigt, und verteidigt werden muss.
(...)
(...)
wird am ehesten die Chance haben, billige Propaganda zu durchschauen und als solche zu entlarven?
sollte zumindest ein paar Minuten täglich die Zeit aufbringen können, Berichte über wesentliche Ereignisse in der Welt mitzuverfolgen, und zumindest ein paar Minuten pro Woche, darüber auch nachzudenken?
sollte am ehesten potentielle Gefahren für unsere Freiheit, für unsere Sicherheit und für unsere Demokratie rechtzeitig erkennen, bevor eines Tages vielleicht ein „point of no return“ überschritten ist?
(...)
(...)
==> ob grundlegende Bürgerrechte auch in Zukunft gesichert bleiben,
==> ob tatsächlich alle Menschen vor dem Gesetz die gleichen Rechte haben oder nicht,
==> und ob uns nach mehr als einem halben Jahrhundert Demokratie der demokratische Rechtsstaat auch in den nächsten Jahrzehnten erhalten bleiben wird.
das wünsche ich Ihnen, das wünsche ich uns allen!